Wie hoch sind die Kälberverluste wirklich?
Das Thema Kälberverluste, insbesondere der männlichen Kälber, ist in jüngster Zeit immer wieder Gegenstand von öffentlichen, aber auch politischen Diskussionen. Leider werden bestehende Statistiken oftmals nicht richtig oder im falschen Kontext interpretiert und dienen damit als Nährboden für pauschalisierte Kritik und Vorwürfen gegenüber Landwirten. Zudem gibt es wenig belastbare Auswertungen und Analysen, die sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzten, auch weil die Datengrundlage meist nicht ausreichend vorhanden ist. Für eine möglichst objektive Betrachtung hat der LKV in einer Analyse alle HIT-Daten von Rinder haltenden Betrieben aus Schleswig-Holstein ausgewertet.
Das Datenmaterial umfasst damit alle an HI-Tier gemeldeten Geburts- und Totmeldungen aus den Jahren 2000 (Beginn der Aufzeichnungen in HI-Tier) bis Ende 2015 von Milchvieh- (auch nicht LKV-Betriebe) und Mastbetrieben, die innerhalb von Schleswig-Holstein und Hamburg liegen. Es wurden alle Aufzuchttiere bis zum 450ten Lebenstag in die Analyse mit einbezogen. Insgesamt wurden so 7.385.018 Datensätze ausgewertet. Festzustellen war, dass beinahe 60% der Aufzuchtverluste innerhalb der ersten 8 Lebenswochen der Tiere stattgefunden haben. Die höchste Verlustrate ist mit 11,4% in der dritten Lebenswoche erreicht. Das ist auch der Zeitpunkt des Umstallens, der einen erhöhten Stress und eine veränderte Umweltbelastung für die Kälber darstellt. Die durchschnittlichen Aufzuchtverluste für männliche Tiere (7,9%) in den Jahren 2000-2015 lagen etwas über denen für weibliche (7,2%), jedoch konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Der Umstand ist wahrscheinlich den oftmals etwas schwerer verlaufenden Geburten bei männlichen Kälbern zuzuschreiben. Jedoch wurde der Geburtsverlauf nicht in die Auswertung mit einbezogen.
Für weiterführende Auswertungen wurden die Tiere zusätzlich nach Geburtsjahrgängen geteilt. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Aufzuchtverluste (Tod_insg/Geburten_insg) über die Jahre sehr konstant zwischen 7% (im Jahr 2008) und 8,8% (im Jahr 2002) liegen (siehe Abbildung 1). Im Durchschnitt über alle Jahre liegen Sie in allen schleswig-holsteinischen Rinderbetrieben bei 7,6%. Dabei ist keine statistisch signifikante Tendenz zu höheren Verlusten in den Jahren der sogenannten „Milchkrisen“ in 2009 (7,2%), 2012 (7,6%) und 2014 (7,4%) erkennbar. Der Unterschied zwischen den Verlustraten zwischen männlichen (Tod_M_Proz) und weiblichen (Tod_W_Proz) Tieren innerhalb der verschiedenen Geburtsjahrgängen ist am Anfang der HI-Tier Aufzeichnungen größer, nimmt jedoch in den folgenden Jahren ab (siehe Abbildung 2). Dieses Phänomen könnte auf einen vermehrten Export der Tiere außerhalb der schleswig-holsteinischen Grenzen in den letzten Jahren hindeuten oder aber auch auf ein unterschiedliches Meldeverhalten der HI-Tier Benutzer zu Beginn der Aufzeichnungen. Jedoch sind auch hier keine statistischen Zusammenhänge von unterschiedlichen Aufzuchtsverlustraten der männlich und weiblichen Tiere in Zusammenhang mit den Milchkrisen darstellbar.
Des Weiteren wurden die Geburts- und Totmeldungen der Tiere ausden Jahre 2000-2015 für eine weitere Auswertung nach Rassezugehörigkeit gegliedert (siehe Abbildung 3). Dabei wurden folgende Gruppierungen beim Milchvieh berücksichtigt: Schwarzbunte (SBT), Rotbunte inkl. DN (RBT), Angler (Angler), alle anderen Milchrassen wurden unter Sonstiges Milchvieh (SonstMV) zusammengefasst. Bei den Fleischrindern wurde hingegen nur in Fleischrinderrassen mit Intensivnutzung (Fleisch int), Fleischrinderrassen in Extensivnutzung (Fleisch ext) und sonstige Rassen (Sonstige) unterschieden. Auffällig ist, dass Fleischrassen über die Jahre hinweg grundsätzlich geringere Aufzuchtverluste (zwischen 3,8% und 6,9%) zu verzeichnen haben als Milchrassen ( zwischen 6,4% und 10,1%). Die geringsten Verlustrate traten demnach im Jahr 2015 bei extensiv genutzten Fleischrassen auf, die höchste im Jahr 2002 bei den sonstigen Milchviehrassen, zu denen die Rassen Jersey, Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind sowie Fleckvieh, Gelbvieh und Hinterwälder zählten. Interessant ist, dass die Rotbunten weniger Aufzuchtverluste zu verzeichnen haben als die Schwarzbunten. Dies könnte mit dem positiven Einfluss der Rotbunten DN zusammenhängen, die für die Auswertung auf Grund der geringen Tierzahlen zu den Rotbunten gruppiert wurden. Aber auch hier lässt sich über die Jahre betrachtet kein wirklicher Trend in den Aufzuchtverlusten kenntlich machen.
Fazit: Die Analyse der Geburten- und Totmeldung aus den Jahren 2000-2015 zeigt, dass aus ökonomischer Sicht, die Verlustraten in der Aufzuchtphase von Milchkühen deutlich zu hoch sind, jedoch kein Trend in Krisenjahren oder zwischen männlichen und weiblichen Tieren aufgezeigt werden kann. Demnach lässt sich aus den Daten keine bewusste Vernachlässigung der männlichen Kälber durch die Landwirte ableiten.
Dr. Anita Ehret, LKV